Sachtexte mit Liebe?

Wir Menschen haben einen recht hoch entwickelten Sinn dafür, ob andere Menschen sich um uns scheren. Ja, es gibt jede Minute einen neuen Scam, das wissen wir alle. Aber Scams nützen sich auch bald ab; wir durchschauen sie – so sind wir, wir können das.

Wir leben im Zeitalter der „Informationsflut“, Welle um Welle schwappt über uns, aber fast so schnell wie die Fluten steigen haben die meisten von uns, glaube ich, eigentlich mit der Aufgabe, das Wichtige zu selektieren, recht gut mitgehalten. Desinformation, Veschwörungstheorien, Pseudowissenschaft, hybride Kriegsführung: all dieser Dreck kann noch fürchterliche Schäden anrichten. Viele Trends in der Welt sehen recht düster aus gerade, im Frühjahr 2024. Optimist bin ich keiner. Aber Sie dürfen mich einen zuversichtlichen Pessimisten nennen. Wie Menschen mit Menschen kommunizieren, wie wir Vertrauen erarbeiten und zueinander fassen, wie wir lernen, miteinander zu kooperieren, wie wir einander Ideen unterbreiten und Argumente strukturieren, wie wir Dinge erklären und diskutieren: all das wird doch nicht unzeitgemäß. Wenn überhaupt, müssen wir dem mehr Aufmerksamkeit widmen und lernen, all das besser zu tun. Menschen finden Wege. Wir finden Wege zueinander und Wege, wie wir zusammen gute Dinge erschaffen. Wie wir das tun, fasziniert mich.

Ich bin Naturwissenschafter, und im Großteil meines Berufslebens hatte ich mit Kommunikation in der Naturwissenschaft, der Technik und sogar in der Bürokratie großer Organisationen zu tun. Das sind Themenfelder, in denen wir wohl tendenziell einen Kommunikationsstil erwarten, der trocken, streng rational, emotionslos, sachlich, oder unpersönlich ist. Eine gewisse Distanziertheit hat ja in Bereichen, wo eine neutrale, gleiche Behandlung unabhängig der Person geboten ist, einen Sinn. Und unter allen Kommunikationsformen ist die schriftliche Kommunikation wohl die unpersönlichste, oder? Nicht? Vielleicht. Überlegen wir’s uns.

Wenn ich mit einem anderen Menschen von Angesicht zu Angesicht spreche, weiß ich, im Akt des Sprechens, gleichzeitig, ob mein Gegenüber das, was ich sage, versteht oder nicht. Ich sehe, ob das, was ich sage, der Person gefällt oder nicht gefällt, ob sie zustimmt oder nicht zustimmt. Ich sehe diese Dinge so gleichzeitig, dass ich darauf reagieren kann, indem ich mitten im Satz ändere, was ich sage – falls ich überhaupt meine Sätze zu Ende führe. Im Sprechen verwenden wir Ausdrücke, die idiomatisch sind, oder die wir ironisch oder scherzhaft meinen, oder die wir auf der Stelle erfinden; wir können die ganze Wärme unserer Persönlichkeit einsetzen, oder nicht: Gestik, Gesichtsausdrücke, das ganze Theater. Wir können schwache Kompetenzen in der Sprache, die wir gerade sprechen, durch eine gute gesamtheitliche Interaktion mit unseren Gesprächspartner:innen kompensieren. Haben Sie schon einmal ein Transkript eines wirklichen, informellen Gesprächs gelesen? Ist Ihnen klar, wie anders das ist als Schreiben? Sogar die informellsten schriftlichen Kommunikationsbrocken, wie WhatsApps, sind schon deutlich anders.

Aber wie ist es dann mit formellen naturwissenschaftlichen und technischen Texten? Sicher geht es darin nur darum, die Sachen zu beschreiben, und wenn wir die Sachen bloß akkurat beschrieben haben, ist die Arbeit getan? Aber warum beschreiben wir die Sachen? Nur, um die Beschreibung irgendwie ins Äther zu blasen? Nein. Wir schreiben immer noch immer nur für Menschen. Ich will, dass die Redakteure mein Paper zur Begutachtung rausschicken; ich will, dass die Gutaschter:innen es für gut befinden; ich will allermindestens, dass sie richtig verstehen, was wir getan haben. Ich will, dass die Jury mein Projekt genehmigt. Ich will, dass der Anlagenbauer mein Lastenheft richtig versteht und ein Angebot vorlegt, das unsere Forderungen erfüllt; wir wollen, dass die Kunden einsehen, wieso unser Konzept das beste ist. Wir wollen, dass die Anwender:innen das Instrument so handhaben, dass sie es nicht zerstören. Wir, als Softwareentwickler:innen, müssen ganz dringend die Manager im Kundenunternehmen überzeugen, einen Schritt zu überdenken, den sie sich offenbar in den Kopf gesetzt haben, wir aber als gravierenden Fehler erkennen. Sehen Sie, Forschung und Technik sind voller schriftlicher Kommunikationsvorgänge, die als Ziel haben, Menschen zu erreichen und in einer bestimmte Richtung zu beeinflussen. Aber weil wir schreiben, anstatt dass wir etwa in Präsenz verhandeln, haben wir weniger Mittel zur Verfügung, um die Menschen mit unserer Botschaft zu erreichen.

Oder: wir haben andere Mittel. Gerade die Tasache, dass Schreiben kein so spontaner Vorgang ist, gibt uns Macht. Wir können uns genau überlegen, wie wir es tun. Wir können nicht unmittelbar eingreifen, wenn jemand etwas in unserem schriftlichen Text etwas missversteht. Aber wir können antizipieren, wie die Leute es missverstehen könnten, und uns vorbeugend um Klarheit bemühen. Wir können uns ein möglichst gutes Bild vom Wissenstand unserer Leser:innen zurechtlegen, und den Text so anlegen, dass sie sich von der Präsentation weder unter- noch überfordet fühlen. Wir können aufpassen, dass wir ihnen mit keinem speziellen Begriff konfrontieren, ohne dass dieser beim ersten Vorkommen angemessen eingeführt wird. Wir können uns eine Vorstellung von ihren Interessen bilden, und von der Information, die sie von uns brauchen, um ihren Job machen zu können. Und wir können all das in Wörtern auf dem Papier (oder Bildschirm) umsetzen. Wir können darüber schlafen und es unseren Kolleg:innen zeigen und es dann überarbeiten und besser machen. Technisches und wissenschaftliches Schreiben ist etwas, was ich in Englischen ein craft bezeichnen würde, sinngemäß: ein Handwerk. Eine Kunst.

Ich habe gerade noch mal ein Video gesschaut, in dem ich meiner Tochter aus einem Bilderbuch vorlese. Beim Buch handelt es sich um The Snail and the Whale by Julia Donaldson, mit Illustrationen von Axel Scheffler (zu Deutsch: „Die Schnecke und der Buckelwal“). Und meine Tochter ist zu der Zeit zehn Monate alt! Es ist eine komplizierte Erzählung und wir sind in Graz, mitten im Kontinent. Das Meer wird sie erst acht Monate später zum ersten Mal erblicken. Sie kann sicher noch nicht recht verstehen, was ein Wal ist. Wie viele von den Dingen in den Bildern erkennt sie? Es dauert noch ein bisschen, bis sie ihr erstes Wort sagt. Und doch genießt sie schon die Erzählung. Wenn auch nur als rhythmisches, reimendes Ritual. Aber: Wir sollten nicht denken, dass Sprache zuerst kommt und Erzählungen nachher. So läuft die Entwicklung kleiner Kinder nicht. Es ist fast umgekehrt: Sie entwickeln einen Sinn für die Konturen einer Erzählung, und etwa auch für die Dynamik von Gesprächen, lange bevor sie den faktischen Sinn der Worte verstehen. Kleine Kinder sind mächtige, gierige Wahrnehmungs und Muster-Erkennungs und Analyse-Maschinen und packen Dinge oft nicht in einer sequentiellen Reihenfolge an, die uns logisch vorkommen würde. Und so sind Erzählungen ein recht ursprüngliches Element der Art, wie wir die Welt verstehen.

Erzählungen spielen auch in naturwissenschaftlichem und technischem Schreiben eine große Rolle. Ein Forschungsartikel ist ein Drama mit einem formalisierten Erzählbogen. Wenn Sie mir nicht glauben, lesen Sie Joshua Schimels Buch Writing Science. Es gefällt – und wir finden uns in den Informationen zurecht – wenn das Drama sich so entfaltet, wir wir erwarten. Ich meine hier etwas anderes, als ich oft aus Kreise der Werbung unter dem Titel „Storytelling“ mitbekomme. Dort gibt es offenbar die Idee, dass man ein Produkt mit einer Story aufladen kann, die Leute dazu verführt, das Produkt zu kaufen. Diese Story kann mehr oder weniger von den Produkteigenschaften losgelöst sein. Das ist es nicht, was ich hier im Sinne habe. Die „Stories“, die in Forschung und Technik funktionieren, sind keine Zusätze. Sie müssen aus der intrinsichen Logik der Sache heraus entstehen. Die Kunst liegt darin, wie wir den Inhalt selbst organisieren. Nicht darin, dass wir ihn hübsch dekorieren.

Aber wie gehen wir das an, eine Story aus Wörtern zu bauen? Wie gestalten wir einen Anfang, eine Mitte, ein Ende? Wie zeigen wir eine Sequenz von Argumenten, die in einer Richtung laufen, um dann zu den Gegenargumenten einen Haken zu schlagen? Was wirkt als logische Reihenfolge von Ideen? Können wir Sätze leicht lesbar machen? (Wollen wir das? Oder werden die Leute unsere Kompetenz anzweifeln, wenn wir zu einfach schreiben?) Falls Sie Naturwissenschafter:in ode Techniker:in sind, fühlen Sie sich bei diesen Fragen schon leicht überfordert? Das würde mich nicht überraschen, weil unsere wissenschaftliche Welt ja da herüben eine Nawifakultät hat und irgendwo am anderen Ende vom Campus eine Gewifakultät und wir oft nicht viel Acht geben auf die Leute von der jeweils anderen Seite, oder auf das, was sie zu sagen hätten. Mir kommt vor, dass die Leute, die das Rüstzeug dazu hätten, die durchaus hochstehende und komplexe Sprach- und Schriftkultur der Naturwissenschaft und der Technik zu analysieren, sich damit nicht sehr oft befassen, während wir von der naturwissenschaftlichen Seite uns vielleicht nicht bewusst sind, dass die moderne Linguistik erstens zum guten Teil eine empirische Wissenschaft ist, die in ihrer Logik uns gar nicht so fremd vorkommen sollte; oder anderseits, dass man über Strukturen und Qualitäten in Texten durchaus rationale und praktisch anwendbare Dinge sagen kann.

Ich bin Naurwissenschafter und habe aber die andere Seite besucht und versuche, ein paar Ideen von drüben hier nutzbar zu machen. Es ist kein Hokus-Pokus oder Schlangenöl. Gutes technisches Schreiben ist eine logische, beschreibbare, erlernbare Fertigkeit. Ich kann es ziemlich gut und kann Ihnen auch zeigen, wie es geht. Dafür bin ich da. Deswegen habe ich diesen Slogan: Stories about stuff, for people.