Bücher übers Übersetzen

Warum bin ich, als hochqualifizierter, erfahrener und fähiger naturwissenschaftlicher Forscher, Übersetzer geworden? War das der einzige Job, den ich bekommen konnte? Sicher nicht. War es so gut bezahlt? Äh … nö 😳. Was hat mich also nach den ersten opportunistischen Aufträgen so an dieser Arbeit gefesselt, dass ich weitermachen wollte? Neben dem sturen Entschluss, ein Geschäft zu machen, wo andere keines sehen konnten (was höchstens manchmal funktionierte), war es die Faszination am Vorgang des Übersetzens an sich, und mit meinen beiden Sprachen.
Am Anfang habe ich mir ein paar typische Uni-Lehrbücher übers Deutsch-Englisch-Übersetzen angeschaut, aber da war ich eigentlich schon weiter. Die Bücher, die ich hilfreich gefunden habe, sind etwas tiefgehender in ihrem Anspruch. Es sind wenige. Aber in ihnen habe ich eine Inspiration gefunden; in ihnen gleichgesinnte Menschen erkannt, die hinter demselben Ding her waren wie ich. Vielleicht haben sie mich auf den Holzweg geführt, waren ein Teil der Faktoren, die mich von irgendwelchen anderen, lukrativeren Karrieren abgehalten haben. Mir kann das egal sein. Das war etwas, das ich wirklich tun wollte, es ist etwas, worüber ich liebend gern nachdenke und das ich nach wie vor sehr gern praktiziere.
Die hier angeführten Bücher handeln von der Aktivität des Übersetzens an sich. Büchern übers Schreiben im Englischen, und über die Kontraste zwischen Englisch und Deutsch, habe ich einen eigenen Beitrag gewidmet.


After Babel, von George Steiner
Dieses Buch braucht keine Vorstellung – es ist ein Monument. Mir hat der Schreibstil nicht restlos zugesagt, der Diskurs hier ist vor allem nahe an der Literaturwissenschaft und als Naturwissenschafter bin ich mit dem Idiom der Literaturwissenschaft wohl schon immer ein wenig über Kreuz. Aber es ist trotzdem eine grandiose Erzählung über die Freuden und die Fragilität und die möglichen Triumphe dieser Arbeit mit Sprache und Wörtern. Wer sich gerne als allgemein gebildet sieht, sollte dieses Buch gelesen haben. Ich glaube, die wichtigste Einsicht, die ich darin gewonnen habe, betrifft die improvisatorische Natur von Sprech-Akten, die unter anderem bedeutet, dass Übersetzen kein wesentlich anderer Vorgang ist als Vieles, das wir tun, wenn wir einsprachig kommunizieren. Die deutsche Übersetzung gibt es; ich habe sie aber bislang nicht gelesen.

Übersetzen – ein Vademecum, von Judith Macheiner (Monika Doherty)
Dieses Buch war nicht einfach aufzutreiben, aber ich habe es gefunden, und es mich. Ehrlich gesagt kann ich mich nicht mehr daran erinnern, warum ich es suchte – ah doch, es wurde von Prof. Mair in „Englisch für Anglisten“ zitiert – siehe meine andere Bücherseite. Ich musste es sehr langsam lesen, weil es einem abverlangt, die vielen Detailbeispiele von Satzvarianten, die die Themen im Übersetzen zwischen Deutsch und Englisch (in beiden Richtungen) veranschaulichen, beharrlich anzustarren, bis sie begreiflich werden. Es war wohl mein Einstieg ins Nah-am-Text-Lesen, diese Disziplin des genauen Hinschauens auf die Wörter, die wirklich da sind, die mir mangels Sprachstudium nicht so vertraut war. Das Buch ist einmalig, eigensinnig und ein bisschen genial, vielleicht wie alle, die dem Übersetzen verfallen sind.

Alles Leben ist Übersetzen, von Swetlana Geier
“Nase hoch beim Übersetzen” – wie wahr. Wie oft kommt die Lösung zu einem Satz oder einem Absatz erst wenn ich den Blick vom Bildschirm hebe – wenn ich mich für ein paar Minuten (haha) bei Twitter ablenke (zumindest das ist jetzt vorbei) oder einfach aus dem Fenster in den Hof schaue. Es ist bei technischen Übersetzungen nicht weniger so als bei literarischen. Swetlana Geier war eine Tochter russischer Eltern, die in Kyiv aufwuchs, und später in Deutschland lebte, wo sie noch eine lange Karriere als literarische Übersetzerin vom Russischen ins Deutsche und als Lehrerin hatte. Es gibt auch einen Film über sie: Die Frau mit den 5 Elefanten. Und ich liebe es, wie sie beim Fenster sitzt und ihre Übersetzungsrätsel löst. Warum sollte ich das nicht ebenfalls, inschallah, mit Mitte 80 noch tun?

Translation Quality Assessment, by Juliane House
Dieses Buch ist ein Klassiker der Translationswissenschaft. Ausnahmslos alle Leute, die vor haben, als Übersetzer:innen zu arbeiten, sollten es gelesen haben, so einfach ist das. Mein Lieblingskapitel ist Kapitel 8 zum Thema Contrastive Pragmatics, das mich hinsichtlich einiger Transformationen von Sätzen und Ausdrucksweisen bestätigte, die ich intuitiv für angebracht hielt, die aber für manche Kund:innen überraschend waren.

Translation – Transkreation: vom Über-Setzen zum über-Texten, von Nina Sattler-Hovdar
Vor einigen Jahren hatte ich das Glück, an einem Workshop mit Nina Sattler-Hovdar teilnehmen zu dürfen. In diesem habe ich einiges über das Konzept der Transkreation gehört, – ein in Marketing und Werbung offenbar einigermaßen etablierter Begriff. Das Konzept weicht problematischen Auffassungen von Übersetzung als Dienstleistung aus. Anstatt Aufträge anzunehmen und Übersetzungen zurückzuschicken ohne die Kund:innen kennenzulernen, wird mit Briefings gearbeitet, in denen man die Aufgabe zusammen mit den Kund:innen bespricht und auslotet. So wird es möglich, den Kundennutzen klar sichtbar zu machen, so dass der Wert der Arbeit auch anerkannt wird. Schließlich erscheinen Preise, von denen man gut (oder überhaupt) leben könnte, relativ zu den diversen billigen bis kostenlosen Möglichkeiten, die Kund:innen präsent sind, unverschämt teuer. Etwas wie diese Strategie wäre prinzipiell auch für naturwissenschaftliche und technische Übersetzungen notwendig.

Dolmetschen bei Gericht – Erwartungen, Anforderungen, Kompetenzen, von Mira Kadrić
Eine Untersuchung der Arbeit des Gerichtsdolmetschens, wie sie in Österreich tatsächlich ausgeführt wird. Dies ist eine faszinierende Tätigkeit, an der ich mich gern versucht hätte, aber ich wurde von den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen abgeschreckt und auch von den Erwartungen an Gerichtsdolmetscher:innen, die meiner Einschätzung nach zu oft mit ethischen Risiken einhergehen. Die Arbeit ist sprachlich, intellektuell und moralisch komplex und ich finde, sie gut zu machen wäre etwas Wunderbares, aber die Kombination an ausgereiften Kompetenzen, die dafür notwendig wäre, sollte angemessen entlohnt werden und das wird sie, soweit ich das beurteilen kann, nicht.

Sprache und Translation in der Rechtspraxis, edited by Martina Rienzner and Gabriele Slezak
Dieses Buch behandelt die Realität des Dolmetschens und des Übersetzens, so wie diese Tätigkeiten in schwierigen verwaltungsrechtlichen Kontexten wie Asylverfahren tatsächlich ausgeübt werden. Es ist eine sehr herausfordernde und bisweilen auch belastende Arbeit (und wäre das auch unter optimalen Bedingungen). Man muss vor den Menschen, die sich bemühen, das Beste daraus zu machen, Respekt haben. Die Darstellung ist eine sehr interessante Lektüre und zeigt auch Verständnis für die Akteur:innen auf behördlicher Seite, die ihren Job machen müssen. Wieder ist meine Schlussfolgerung eine quasi politische: der Staat sollte diese Arbeit ordentlich dotieren; es würde sich für alle Beteiligten auszahlen.